Was für ein eigenartiges Gefühl, schon so lange gelebt zu haben und doch diesen Sommermorgen wie ein Knabe zu beginnen! (Charles Dickens, Schwere Zeiten)
An der nächsten Rasthütte lasse ich mich für eine längere Pause nieder. Der heutige Tag verlangt mir kulinarisch eine gewisse Genügsamkeit ab. Gleich nach dem Aufstehen hat es Schokolade, Nüsse und Rosinen gegeben. Jetzt zum Mittagessen wieder das Gleiche, und ein Blick in meinen Proviantbeutel verrät, dass das so bleiben wird, bis ich morgen Nachmittag den Supermarkt in Lindvallen erreiche. Einzige Abwechslung zwischendurch ist eine weitere Portion Gabelspagetti heute Abend.
Ich lege mich ins Gras und träume von Kuchen, Pizza, frischem Obst, Gemüse, Brot mit dick Nutella und, und, und… Als ich wieder aufbreche, habe ich tierischen Hunger. Ich trinke reichlich Wasser, um meinen Magen zu füllen, und versuche, nicht weiter ans Essen zu denken, was mir angesichts der herrlichen Landschaft, die ich nun durchwandere, nicht allzu schwerfällt. Auf schmalem Pfad geht es tief in felsenreichen Wald hinein. Der zerklüftete Untergrund besteht aus scheinbar wahllos verteilten Gesteinsbrocken unterschiedlichster Form und Größe, die von einer dichten Decke aus beigen, grünen und roten Flechten überzogen. Der Weg windet sich in engen Kurven auf und ab, und wann immer ich auf eine erhöhte Lichtung trete, sehe ich, soweit das Auge reicht, nichts als Wald rings um mich her. Kleine blaue Falter flatterten durchs hohe Gras und Heerscharen von Ameisen krabbeln geschäftig über den Boden.
Vom baum lernen der jeden tag neu
sommers und winters nichts erklärt
niemanden überzeugt nichts herstellt
einmal werden die bäume die lehrer sein
das wasser wird trinkbar
und das lob leise
wie der wind an einem septembermorgen (Dorothee Sölle)
Als ich den Reißverschluss aufziehe, plumpst ein dicker eisiger Klops vom Zeltdach herab auf meine Hand. Der Wald ist ganz in Weiß gehüllt. Im Schlaf habe ich von all dem nichts gemerkt, Schnee fällt eben lautlos. Ich packe zusammen, stopfe mir die vorletzte Hand voll Nüsse, Rosinen und Schokolade in den Mund und stapfe los – Mitte Mai durch eine perfekte Winterlandschaft, noch mit den Resten eines Sonnenbrands im Nacken. Das ist irgendwie surreal.
Schon bald erreiche ich die Skistation in Smågan, kein Mensch weit und breit, nur eine schwedische Fahne klappert lautstark vor sich hin. An der Außenwand einer verrammelten Holzhütte entdecke ich einen Trinkwasserknopf. Ich fülle meine Flasche, fege den Schnee von einer Picknickbank und setze mich für eine kurze Pause. Durch das milchige Weiß am Himmel dringt kein Bisschen Sonne, es weht ein eiskalter Wind und ich bibbere ganz schön.
Zum Glück wird es nach einigen Kilometern merklich wärmer. Die von Zeit zu Zeit durch die Wolkendecke brechenden Strahlen reichen aus, um den Schnee weitgehend verschwinden zu lassen. Und bald schon ist der Wald wieder grün. Die Birken haben sich von dem kurzen Rückfall in den Winter nicht stören lassen und schlagen ungestört weiter aus.
Menschen – wie Gras sind ihre Tage,
wie Wildblumen blühen sie auf.
Da: Ein Wind weht vorüber – weg sind sie,
hinterlassen keine Spur. (Psalm 103, 13-16)
Gut gelaunt marschiere ich in einen sonnigen Tag hinein. Allerdings ist mir schon nach wenigen hundert Metern klar, dass das Vorankommen heute nicht ganz einfach wird. Von marschieren kann bald keine Rede mehr sein, es ist eher ein Stapfen, Stolpern, Rutschen oder Waten – auf und ab durch tiefen Schnee und Schmelzwasserbäche, über halbaufgetauten Sumpf und schwammigen Waldboden. So langsam verstehe ich, weshalb vom Wandern im Fjäll während dieser Jahreszeit abgeraten wird. Trotzdem bin ich überglücklich, hier zu sein, denn es ist wunderschön! Das Gebirge liegt vor mir wie ein großes weiß-braun gesprenkeltes Tier, über dessen Pelz ich krabbele, – ein kleiner Wurm, nichts weiter. Ausgedehnte Schneefelder wechseln mit matschiger Heidelandschaft. Überall gluckert, rauscht und brodelt das zu Tal strömende Wasser. Es sammelt sich zu kleinen Rinnsalen, die sich zu immer größeren Strömen vereinen. Ganz gleich, wo ich gehe oder stehe, so richtig fest fühlt sich der Boden unter meinen Füßen nirgends an.
Etwa 3 km vor der Närfjällsstuga verfinstert sich der Himmel und es beginnt zu hageln. Ich versuche mich zu beeilen, aber in diesem Gelände ist Schnellsein einfach nicht drin. Zu beiden Seiten erheben sich steil abfallend meterdick verschneite Hänge, und rund um meine Beine bricht sich tosend ein angeschwollener Gebirgsbach bahn. Ich ziehe mich festgeklammert an ein paar Büschel Weidegestrüpp schlammige Abhänge hinauf, robbe mit Händen und Füßen vorwärts, breche durch die angetaute Schneedecke und stehe immer wieder knöcheltief im eiskalten Wasser. Die Hagelkörner klatschen mir schmerzhaft ins Gesicht und jeder Schritt ist qualvoll anstrengend.
Das Tal verjüngt sich und steigt in Richtung eines Sattels hart an. Bizarr geformte Schneewehen haben sich zu schroffen Kämmen aufgeworfen. Eisiges Weiß erstreckt sich bis zum Horizont und geht nahtlos in den milchig-dunstigen Himmel über. Dazwischen liegt winzig klein die Hütte.
Die Artenvielfalt – insbesondere die Vielfalt der Mikroorganismen, Bakterien, Pilze, der kleinen Wirbellosen und Insekten – schafft die Bedingungen dafür, dass menschliches Leben weiter existieren kann. Wir sind vollkommen von diesen Lebewesen abhängig. Wenn wir unsere lebensfeindliche Praxis fortführen, wird ab der Mitte dieses Jahrhunderts die Auslöschung unserer eigenen Spezies einsetzen. Steht sie nicht auf der Liste der bedrohten Arten? (Leonardo Boff)
Als ich aufbreche, ist die Sonne noch kaum über die Berge geklettert. Die Kälte der Nacht hat für eine oberflächliche Eisschicht gesorgt, die, da die Wärme des Tages sie noch nicht zum Schmelzen bringen konnte, stark genug ist, um den meisten meiner Schritte Stand zu halten, was mir das Laufen angenehm erleichtert.
Nachdem ich eine verschneite Hochfläche überquert habe, öffnet sich der Blick hinab ins Tal des Görälv. Dort unten liegt, im Morgendunst noch kaum zu erahnen, das Dorf Gräsheden, wo es ein Hostel gibt, in dem ich die kommende Nacht verbringen will – mal wieder ganz komfortabel in einem geheizten Zimmer mit Bett. Ich träume von dem Gefühl warmen Wassers auf der Haut, davon, den Geruch von Schweiß und feuchter Wäsche loszuwerden und den Matsch unter meinen Fingernägeln wegzukratzen.
Es geht steil bergab, der Schnee wird rasch weniger und die Bäume zahlreicher. Schließlich stehe ich wieder mitten im frühlingshaften Nadelwald. Auf dem Boden krabbeln Ameisen, kleine blaue Falter flattern auf und ab und in den Baumwipfeln singen die Vögel, ganz so als wäre die Winterlandschaft ein paar hundert Meter über mir ein längst vergessener Traum.
Sei nicht der Sklave deiner Vergangenheit –
Springe in die Tiefe des Meeres,
tauche tief und schwimme weit,
dann wirst du
mit einem Respekt vor dir selbst,
mit einer neuen Kraft,
mit neuer Erfahrung zurückkommen,
die dir helfen werden,
das Alte
aus der Distanz zu betrachten
und zu verstehen. (Ralph Waldo Emerson)
Ich atme noch einmal tief durch und los geht’s. Mit jedem Schritt sinke ich bis übers Knie ein. Manchmal fühlt es sich an, als fröre der Schnee rund um mein Bein mit erschreckender Geschwindigkeit fest. Ich muss jedes Mal an mich halten, um nicht in Panik zu geraten, denn hektisches Herausziehen macht die Sache nur schlimmer. Ein paar Mal verliere ich das Gleichgewicht und plumpse mitsamt der 25 kg auf meinem Rücken zu Boden. Dann liege ich da wie ein auf den Rücken gefallener Käfer und es kostet mich einige Anstrengung, wieder auf die Füße zu kommen. Was gäbe ich jetzt für ein Paar Skier!
Mit verlängertem Wanderstock taste ich mich vorwärts. Zeitweise ist selbst bei 1,5 m noch nichts Festes unter mir zu spüren. Das fühlt sich unheimlich an. Ich höre nur meinen keuchenden Atem und das Knirschen meiner Schritte. Ansonsten ist es vollkommen still. Wenn doch ein Vogel vorbeifliegen oder irgendwo ein Stückchen Baum aus der weißen Decke hervorragen würde, – aber da ist nichts, nur der Schnee, der Himmel und ich.
Wem gehört die Erde? Faktisch gehört sie denen, die die Macht innehaben, die die Märkte kontrollieren, die Grund und Boden, Güter und nützliche Aspekte, Wasser, Gene, Saatgut, menschliche Organe und sogar zu Waren degradierte Menschen verkaufen und aufkaufen. Sie geben vor, die Herren der Erde zu sein, und verfügen über sie, wie es ihnen beliebt. Doch es handelt sich um lächerliche Herren, denn sie vergessen, dass sie nicht Herr ihrer selbst, weder ihrer Geburt noch ihres Todes sind. (Leonardo Boff)
Der Himmel zieht sich weiter zu und graue Wolken stapeln sich bis zum Horizont. Ich komme an ein Gewässer – Fluss, See oder viele kleine Tümpel dicht beieinander, genau kann ich das nicht erkennen. Ich sehe nur hier und da ein schneidend kaltes, hellblaues Licht unter den Schnee- und Eismassen hervorbrechen, wie ein riesiges Auge, das mich anschaut. Der Anblick ist abweisend und anziehend zugleich, bedrohlich und lebensfeindlich und dennoch unwiderstehlich schön. Irgendwie muss ich vorbeikommen oder hinwegkommen über dieses Unbestimmbare etwas – nicht wissend, wo der Boden mich noch trägt.
Ich fühle mich unendlich klein. Wir Menschen sind ein Nichts auf der großen weiten Erde. Sie kann uns einfach verschlucken, weder mit Absicht noch aus bösem Willen, ja ohne es auch nur zu bemerken. Ganze Städte, Länder, die gesamte menschliche Zivilisation, alles, was uns so viel Sicherheit gibt und was wir für so unzerstörbar halten, könnte jederzeit sang und klanglos verschwinden, und der Planet würde weiter durchs All rasen, als hätte es uns nie gegeben.
Ich setze den Rucksack ab und ziehe ihn am Packriemen hinter mir her, um mein Gewicht auf dem brüchigen Untergrund besser zu verteilen. Ich lausche angestrengt auf jedes Knarren und Ächzen, jeden noch so kleinen Hinweis auf eine Gefahr, der gegenüber ich ohnehin machtlos wäre. Wenn ich hier ins Eis einbreche, dann, ja, was dann?
Als ich endlich den Fuß eines Hügels erreiche und sichergehen kann, dass unter mir kein Wasser mehr ist, fällt eine ungeheure Anspannung von mir ab. Ich liege im Schnee und schluchze. Warme Tränen rinnen über meine Wangen. Ich fühle mein Herz schlagen und bin dankbar für mein Leben. Jeder Atemzug, jede Sekunde ist eine Gnade Gottes.
Die Natur hier war ungezähmt und schrecklich, doch wunderschön. Mit Ehrfurcht betrachtete ich den Grund, auf dem ich gewandelt war, um zu sehen, was die Mächte geschaffen hatten, die Form, das Wesen und die Beschaffenheit ihrer Arbeit. Das war die Erde von der wir gehört haben, die entstanden ist aus dem Chaos und der ewigen Nacht. Das hier ist nicht der Garten des Menschen, sondern einfach der unberührte Globus. Das war kein Rasen, keine Weide, kein Wald, keine Aue, kein Acker, keine Wüste. Es war die frische und natürliche Oberfläche des Planeten, gemacht für alle Ewigkeit. (Thoreau, Ktaadu)
Auf dem Weg hinab wird die Schneedecke rasch dünner. In der Ferne kann ich grüne Hügel erahnen. Irgendwann erkenne ich ein Stück Trampelpfad und dann auf einem großen, grauen Stein einen dicken orange leuchtenden Punkt: eine Sommermarkierung! Unten im Tal schlage ich einen bequemen Schotterweg ein. Was für ein unglaubliches Gefühl, auf festem Boden zu laufen!
Von hier aus wirken die verschneiten Berge gar nicht mehr so gigantisch, aber das ändert nicht das Geringste an meiner Ehrfurcht vor ihnen. Auf diesem unendlichen weißen Einerlei vorwärts zu kriechen, hat mich auf ebenso brutale wie heilsame Weise spüren lassen, wie klein und unbedeutend ich bin. Ich komme aus dem Nichts, ich bin kaum mehr als ein Nichts und gehe zurück ins Nichts – worum also sollte ich mich sorgen, was gibt es zu befürchten, wovor muss ich Angst haben?
Die schreckliche Tatsache besteht darin, dass wir von einer Ausrottungsorgie ergriffen sind, die womöglich die größte Reduktion der Lebensfülle und -vielfalt seit dem ersten Aufflackern des Lebens vor über vier Milliarden Jahren bewirkt. Die Mühe und Arbeit, die mehrere Milliarden Jahre lang und in unzähligen Milliarden Experimenten aufgewandt wurde, um so eine prachtvolle Erde hervorzubringen, ist in weniger als einem Jahrhundert zugunsten dessen ausgelöscht worden, was wir als „Fortschritt“ zu einem besseren Leben in einer besseren Welt bezeichnen. (Thomas Berry, Das Wild und das Heilige)
Nach etwa 10 km biege ich von der asphaltierten Straße auf einen Forstweg ab. An einigen Stellen bilden die bewaldeten Hügel jäh abfallende Felswände und selbst auf den schmalsten Vorsprüngen finden noch ein paar bizarr geformte Kiefern oder Fichten Halt. Ihre Silhouetten sehen in der trüben Atmosphäre aus wie gemalt. Man müsste nur noch einen einsamen kleinen Menschen dazu stellen und Caspar David Friedrich hätte sich das Ganze nicht schöner ausdenken können.
Ein wild rauschender Bach plätschert unter der Straße hindurch. Inzwischen hat es aufgehört zu regnen, und ich setze mich für eine kurze Rast auf die Steine am Ufer. Während ich mich über das Wasser beuge und trinke, wird das Licht plötzlich merklich heller, und als ich aufsehe, zeigt sich am Himmel ein kleiner blauer Fleck.
Im Laufe der nächsten Stunden wird es immer sonniger. Gegen Nachmittag tritt der Wald zurück und nach Westen öffnet sich ein weiter Blick auf das schneebedeckte Hochgebirge. Ich kann nicht anders, als immer wieder stehen zu bleiben und mich in den herrlichen Anblick zu vertiefen – halb sehnsüchtig und halb erleichtert, dass ich nicht dort oben im Schnee stecke. Von den unnahbaren weißen Rücken, die da in unterschiedlichen Formen, hintereinander und ineinander übergehend kühl in der Sonne strahlen, geht eine ungeheure Gelassenheit aus. Diese Berge sind Jahrtausende alt, und bleiben einfach an Ort und Stelle. Nichts und niemand kann ihnen etwas anhaben. Sie warten die Dinge ab, bis sich alles in Wohlgefallen auflöst und etwas Neues beginnt, denn nichts währt ewig. Wir Menschen sind gekommen und irgendwann werden wir auch wieder gehen und mit uns all das Unheil und die Wirrnisse, die wir über die Welt gebracht haben.
Nur freiwillige Armut verleiht die Überlegenheit unparteiischer und weiser Betrachtung des menschlichen Lebens. (Thoreau, Walden)
Der Weg bietet ungeahnt schöne landschaftliche Eindrücke. Er führt größtenteils dicht am Storån entlang, der einige gewaltige Stromschnellen bildet. Ich lasse mich am Ufer nieder und sehe zu, wie all der Schnee, der sich im Laufe des Winters oben in den Bergen angesammelt hat, hier in flüssiger Form mit ohrenbetäubendem Lärm zu Tal drängt. Irgendwie ist das wunderschön und trotz der vollkommen ungebändigten Gewalt, die dahinter steckt auch beruhigend – nicht zuletzt deshalb, weil mit jedem Wassertropfen, der zu meinen Füßen entlangtost, die Wanderwege im Fjäll ein wenig gangbarer werden.
Auf einer Infotafel an einem Rastschutz lese ich, dass das Zelten im Gebiet des Storån nur an eigens dafür ausgewiesenen Vildmarks-Campingplätzen gestattet ist. Sie liegen in Abständen von einigen Kilometern entlang der Straße am Flussufer. Eine Übernachtung kostet 60 Kronen. Da ich dem Fluss noch eine Weile folgen und diese Gegend erst morgen verlassen will, muss ich für heute Nacht so einen Platz ansteuern. Ich entscheide mich für eine Stelle namens Solna, noch etwa 7 km entfernt.
Der Straßenverlauf ist kurvig und das Flusstal zu beiden Seiten durch dicht bewaldete Höhenzüge begrenzt, die ab und an steile Felswände bilden. Es regnet unaufhörlich weiter. Ich sehne mich nach meinen trockenen Nachtklamotten und einem warmen Abendessen und bin froh, als ich knappe zwei Stunden später Solna erreiche.
Auf einem von Blaubeergestrüpp und Heidekraut bewachsenen Streifen, den eine Reihe Kiefern von der Straße trennt, stehen Picknicktische, ein Rastschutz mit Feuerstelle, eine Donnerbalkentoilette und ein Holzschuppen. Zwischen den Bäumen sind ordentlich mit Nummern versehene Parzellen abgeteilt. Am Eingang des Geländes befindet sich eine von einer schwarzen Plastikplane umhüllte Säule. Ob sich darunter der Kassenautomat verbirgt? Einen Menschen kann ich nirgends entdecken, doch während ich noch darüber nachdenke, was ich jetzt machen soll, höre ich hinter mir auf dem Kiesweg ein Auto.
Eine Frau steigt aus und begrüßt mich freundlich. Ich frage, wo ich bezahlen könne. „Direkt bei mir“, antwortet sie. Sie sei gekommen, um den Kassenautomat wieder in Betrieb zu nehmen, damit die Saison beginnen könne. Sie entfernt die Plastikplane und legt einen Stapel Pappkärtchen in ein Schubfach. Eine davon drückt sie mir direkt in die Hand. Ich soll hier allen Ernstes meinen Namen, den Tag der An- und Abreise und die Nummer der Parzelle eintragen, auf die ich mich zu stellen gedenke. Manchmal sind die Schweden schlimmer als wir Deutschen.
Ich setze den Rucksack ab und wühle im Seitenfach nach meinem Kugelschreiber. Die Frau mustert mich von oben bis unten. Offenbar errege ich ihr Mitleid, wie ich da so stehe in meinen klitschnassen Regenklamotten allein und ohne Auto – ausgemergelt, wettergegerbt und etwas verwahrlost. Sie fragt nichts weiter, nimmt mir das Pappkärtchen wieder aus der Hand und teilt mir mit, dass sie kein Geld von mir nehmen könne. Der Service sei noch nicht komplett dieses Jahr. Es gäbe noch kein Feuerholz. Sie deutet auf den leeren Holzschuppen und ein warmherziges Lächeln huscht über ihr Gesicht. Dann drückt sie mir ein Packet Toilettenpapier in die Hand, bittet mich, es ins Klohäuschen zu bringen, steigt in ihr Auto, winkt und fährt davon. Ich stehe etwas verdattert im strömenden Regen mit dem Klopapier unterm Arm und blicke dem Wagen hinterher. Wow, das war echt nett!